Der Terroir-Wein: Spiegelbild seiner Herkunft

Der Terroir-Wein: Spiegelbild seiner Herkunft

Der Terroir-Wein versteht sich als Gegenbewegung zum (geschmacklich uniformen) Massenwein und ist damit Sinnbild für Individualität und Authentizität. Doch was genau versteckt sich hinter dem Terroirkonzept?

Wie viele Begriffe aus der Weinsprache wird auch der Terroirgedanke manchmal unterschiedlich interpretiert oder gelegentlich als Teil einer Marketingstrategie genutzt. Und tatsächlich scheint das Konzept auf den ersten Blick banal: Ist es nicht im Grunde selbstverständlich, dass ein Wein ein Ausdruck seiner Herkunftsregion ist und beispielsweise ein sonnenverwöhnter Shiraz aus Australien anders schmeckt als ein französischer Syrah von der Nord-Rhône? Und gibt es eigentlich noch einen Platz für authentisch-individuelle Weine angesichts des globalen Trends zu einer gewissen Uniformität? Aber der Reihe nach.

Was versteckt sich hinter dem französischen Begriff?

„Wein ist Geografie in der Flasche“, so die Terroir-Definition der Weinkritikerin Janice Robinson

Fragt man ChatGPT nach einer Übersetzung des französischen Wortes, so antwortet die künstliche Intelligenz wie folgt: „Das Wort „Terroir“ stammt aus dem Französischen und lässt sich nur schwer eins zu eins ins Deutsche übersetzen, da er eine Vielzahl von Aspekten umfasst. Wörtlich bedeutet es „Boden“ oder „Land“, doch in der Weinwelt beschreibt der Ausdruck die Gesamtheit aller natürlichen Einflüsse, die den Charakter eines Weins prägen.“

Diese „Gesamtheit aller natürlichen Einflüsse“ umfasst also Faktoren wie Boden, (Einzel-)Lage, Klima, Rebsorten, Topographie – aber auch die spezifische Handhabung durch die Winzerinnen und Winzer. Man könnte auch sagen: Was dem Biologen das Ökosystem ist, ist der Winzerin das Terroir. Auf Deutsch ist oft schlicht von „Lage“, „Weinbaugebiet“ oder „Bodengegebenheiten“ die Rede, doch keine dieser Bezeichnungen fängt die wirkliche Bedeutung des Terroirkonzepts vollständig ein. Daher wird der Ausdruck auch im Deutschen häufig unverändert verwendet, insbesondere in Fachkreisen. In Frankreich ist das Wort hingegen fest etabliert und wird längst über den Weinbau hinaus verwendet, beispielsweise in Bezug auf Käse, Schokolade oder Kaffee. Und, ja, wo sonst, wenn nicht im Schlaraffenland Frankreich, sollte der Begriff seinen Ursprung haben. 

Burgund: Frankreichs Terroir-Wein par excellence

Es ist vor allem das Burgund mit seinem hochkomplexen Appellationssystem, das den Terroir-Begriff prägte. Nirgendwo sonst auf der Welt wird das Terroir derart zelebriert wie in dem berühmten nordfranzösichen Weinbaugebiet. Wenn in der Bourgogne von „climat“ die Rede ist, blickt man nicht etwa in den Himmel, sondern auf den Boden. Denn mit „climat“ meint man im Burgund nicht das Wetter, sondern die einzigartige Kombination aus Terroir und menschlichem Savoir-faire. Das Appellationssystem der Bourgogne ist weltweit einzigartig und basiert auf einer feinen Parzellierung des Weinbergs, bei der jeder lieu dit (Einzellage auf deutsch), ein weiteres bourgognespezifisches Wort, und jede Parzelle ihre eigene Identität hat. Diese genau abgegrenzten Weinbergflächen, die durch jahrhundertelange Beobachtung von Boden, Exposition und Mikroklimata definiert wurden sind seit 2015 UNESCO-Weltkulturerbe – kein Wunder also, dass das Burgund als der Terroir-Wein schlechthin gilt.

Die zerstückelte Landschaft beruht vor allem auf dem geologischen Mosaik, auf dem die burgundischen Weinberge angelegt wurden, sowie auf der rebsortenreinen Bewirtschaftung, die eine genaue Analyse der Auswirkungen jeder Parzelle auf den Wein begünstigte, der im Burgund immer aus derselben Rebsorte hergestellt wird: Pinot Noir für Rotwein und Chardonnay-Trauben für Weißwein. Im Burgund findet man eine Überlagerung zahlreicher Bodentypen, die mehr oder weniger kalk-, ton- oder kieselhaltig sind. Dieses unglaubliche Mosaik unterschiedlicher Bodentypen verleiht den Terroirs der berühmten Weinbauregion ihre legendäre Vielfalt und ihren Ruhm - es gibt wohl kaum einen Weißweinliebhaber, der noch nichts von den kimmeridgischen Mergeln im Chablis gehört hat, die dem Chardonnay aus der Region seine besondere Charakteristik verleiht. Insgesamt gibt es allein in der Côte de Beaune und der Côte de Nuits mehr als 1 000 verschiedene Lagen. Und genau dieser burgundische Terroir-Kult ist es, der die Weine so besonders macht – und Winemakern heute weltweit als Vorbild dient.

Der Terroirgedanke basiert auf fünf Haupt-Faktoren

Terroirgeprägte Weine bringen also den spezifischen Charakter eines Ortes oder einer Lage (bzw. Einzellage) zum Ausdruck. Wir haben uns die unterschiedlichen Elemente etwas genauer angeschaut:

1) Boden 

Wasserhaushalt, Mineralik, Kiesboden, Lehm, Silex, Tiefe …

Der Boden, sprich die Bodenbeschaffenheit ist ein grundlegendes Terroirelement. Die Reben schöpfen aus ihm die Nährstoff- und Wasserressourcen, die sie zum Gedeihen benötigen. Wer schon einmal einen Sauvignon Blanc aus Sancerre mit einem neuseeländischen Marlborouh vergleichen konnte, dem leuchtet der Zusammenhang von Bodenart und Geschmack sofort ein: Kaum zu glauben, dass der knackig-rauchige, mineralische Sancerre und sein aromatisches, exotisch anmutendes Pendant aus Neuseeland aus ein und derselben Rebsorte gewonnen werden. Seine oft zitierte Mineralik bezieht der reinsortige Sauvignon Blanc von der Loire aus den Feuersteinböden, die in ähnlicher Form auch die Stilistik des nicht minder berühmten Chablis bestimmen. 

2) Klima

Mikro-, Makro-, Meso-, Topoklima

Auch Faktoren wie Niederschlag und Hitze prägen maßgeblich das Weinprofil. Besonders beeindruckend veranschaulichen dies die weltweit begehrten Cool-Climate-Chardonnays aus der Bourgogne (Chablis, Côte de Beaune, Montrachet), die stilistisch Welten von der industriell hergestellten Massenware aus Kaliforniens Halbwüsten trennen. Der stark holzbetonte Chardonnay-Stil aus dem Central Valley, mit wenig Säure und hoher Süße, löste in den USA in den 1980er-Jahren gar die sogenannte ABC-Bewegung (ABC = Anything but Chardonnay) aus. Dass auch kalifornischer Chardonnay Weltklasse sein kann, beweisen die Sonoma Coast und das Russian River Valley, die dank kühlender Pazifikwinde elegante Chardonnays erzeugen, die den besten Burgundern in nichts nachstehen.

3) Topographie

Hanglage, Seehöhe, Ausrichtung, Wassernähe

Wie sich Topgraphie und Lage auf einen Wein auswirken, illustrieren die Spitzen-Malbecs aus den Höhenlagen Argentiniens: Die ursprünglich aus Südwestfrankreich stammende Traube profitiert in den Top-Weinbaugebieten von Mendoza von idealen Bedingungen. Nirgendwo anders auf der Welt erzielt der Malbec vergleichbare Ergebnisse. Auf Höhen von 800 bis 1.500 Metern über dem Meeresspiegel profitieren die Reben von intensiver Sonneneinstrahlung und kühlen Nächten. Diese extremen Bedingungen fördern eine langsame, gleichmäßige Reifung der Beeren, was zu einer perfekten Balance zwischen reifer Frucht, lebendiger Säure und eleganter Struktur führt. Die mineralischen Böden, oft vulkanischen Ursprungs, tragen zusätzlich zur Komplexität und Tiefe der Weine bei.  

4) Rebsorten

Die Trauben sind der Rohstoff des Weins und nehmen im Terroirgedanken eine zentrale Rolle ein. Im streng reglementierten Europa dürfen je nach Herkunftsbezeichnung nur bestimmte Trauben verwendet werden. Während beispielsweise die berühmtesten Syrahs in der Nord-Rhône erzeugt werden, wo die Reben von idealen Konditionen profitieren, bilden Cabernet Sauvignon und Merlot die Grundlage für die berühmten Bordeaux-Blends. Der Riesling fühlt sich in diversen deutschen und elsässischen Weinbergen wohl, während die Nebbiolo-Traube im Barolo Weltklasse-Niveau erzielt.

5) Winzer  

Von konventionell über biodynamisch bis biologisch: Der Mensch entscheidet, welche Art des Weinanbaus er für die von ihm gepflanzte Rebsorte praktizieren möchte. Im europäischen Weinbau müssen die Winzerinnen und Winemaker ein Pflichtenheft einhalten, das je nach Appellation mehr oder weniger streng ist, aber gleichzeitig auch die Tradition und das Know-how fortführen, die die jeweilige Weinbauregion ausmachen.

Marcel Deiss - Terroir-Verfechter und Ausnahmewinzer aus dem Elsass

Auch das Elsass ist für seine terroirgeprägten Tropfen berühmt. Das Domaine Marcel Deiss mit seiner kompromisslosen Terroir-Fokussierung sticht hier besonders hervor. Das elsässische Weingut bewirtschaftet seine Weinberge biodynamisch, um die außergewöhnliche Vielfalt der Böden – von Kalkstein und Granit bis hin zu eisenreichen Schichten – zu bewahren. Jean-Michel Deiss verfolgt eine Philosophie, bei der alle Rebsorten einer Parzelle gemeinsam kultiviert und verarbeitet werden. Ziel ist es, den Einfluss des Terroirs unverfälscht in den Weinen zum Ausdruck zu bringen, ohne den Jahrgangseffekt zu stark hervorzuheben. Das Ergebnis sind charaktervolle Weine mit einer Geschmacksvielfalt, die ihresgleichen sucht.

Terroirbewegung im Vormarsch

Das spanische Weinbaugebiet Rioja ist, ähnlich wie das Bordelais, weniger für seine Weinberge, Bodenarten oder Mikroklimata bekannt, sondern für seine Klassifikationen. Nur, dass diese im Falle von Spanien eben nicht Grand Cru Classés heißen, sondern Crianza, Reserva und Gran Reserva und Auskunft über die Dauer der Reifezeit geben. Je länger gereift, umso höher die Qualität - auf dieser kellergeprägten Gleichung gründet traditionell die spanische Weinbauphilosophie, die auch seit jeher eine Ode an die Langlebigkeit der Weine ist.
Was die neue Winzergeneration der Rioja allerdings nicht daran hindert, neuen Wind in Spaniens berühmtestes Weinbaugebiet zu bringen und nun vermehrt auch den Terroirgedanken für ihre Kreationen in Anspruch zu nehmen. Im nordspanischen Tempranillo-Paradies findet man mittlerweile so viele Weinstile wie Ortsweine, die mit immensem Know-how und neuem Selbstbewusstsein hergestellt werden. Diese neue Freiheit wirkt sich auch im Keller aus, wo Spaniens Nachwuchstalente mit viel Flexibilität arbeiten und sich von den traditionellen Methoden immer mehr abgrenzen: weniger Holzkontakt, französische statt amerikanische Barriques und Einsatz von Amphoren und Betoneiern sorgen für ein moder­nes Geschmacks­bild.

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